Bremerhaven, Oktober 2023
NextGenProteins-Konferenz zeigt großes Potenzial alternativer Lebensmittelproduktion auf Eiweißbasis
Wie ernährt sich die Menschheit in den kommenden Jahrzehnten, welche Ressourcen stehen dafür zur Verfügung, lässt sich die Nahrung für die wachsende Weltbevölkerung überhaupt sicherstellen? Neuartige Produkte, spannende Projekte und visionäre Ideen dazu präsentierte die NextGenProteins-Konferenz in Bremerhaven. Am 7. und 8. September 2023 trafen sich dort mehr als 200 Teilnehmer aus der ganzen Welt im Atlantic Hotel Sail City zum Austausch. Die zweitägige Konferenz war gleichzeitig der Abschluss des europäischen Forschungsprojektes NextGenProteins.
„Mit diesem Projekt haben wir einen neuen Weg bei der Suche nach alternativen Proteinen eingeschlagen – sowohl für die Ernährung der Menschheit als auch von Nutztieren“, eröffnete die isländische Ministerin für Ernährung, Fischerei und Agrarkultur, Svandís Svavarsdóttir, als Ehrengast die Konferenz. „Wir brauchen uns nichts vormachen: Der jetzige Weg der Lebensmittelproduktion führt uns ins Verderben.“
Lösungen und neue Perspektiven zu finden, war die Aufgabe von NextGenProteins. Insgesamt 21 Partner aus verschiedenen Ländern von Island über Deutschland bis Israel haben gemeinsam daran vier Jahre gearbeitet. Acht Millionen Euro aus dem europäischen Horizon 2020 Funding standen dafür zur Verfügung. Die vielfältigen Inhalte der Abschlusskonferenz in Bremerhaven haben gezeigt, wie wert- und sinnvoll diese Förderung war.
Neben zahlreichen Impulsreferaten standen vor allem die facettenreichen Themen-Sessions während der zwei Tage im Mittelpunkt. Forscher und Entwickler haben in jeweils 20-minütigen Vorträgen einen intensiven Einblick in ihre Projekte, Ergebnisse und Entwicklungsmöglichkeiten gegeben. Unterteilt waren die Session-Bereiche in die Thematiken Food, Feed und Market & Consumer. Im Fokus von NextGenProteins waren Einzeller (Hefen), Algen und Insekten als alternative Eiweißquellen, aber auch Pilze, Hülsenfrüchte und Zellkulturen.
So referierte Abhisehk Bahttacharya vom schwedischen RISE Processum Cluster über die Produktion von einzelligem Protein und Enzymen für Futtermittel basierend auf Rückständen aus der Forstwirtschaft. „Wir haben uns auf den Schimmelpilz „Paecilomyces variotii“ konzentriert und ihn auf einem enzymatischen Hydrolysat aus Wipfeln und Ästen von Nadelhölzern kultiviert“, so der Forscher. Dabei wurden verschiedene chemische Prozesse untersucht, überwacht und dokumentiert – unter anderem die Bildung von kohlenhydrataktiven Enzymen, die eine wichtige Rolle in der Futter- und Lebensmittelindustrie spielen. Auch die Bildung von einzelligen Proteinen für die Produktion von Fischfutter stand im Blickpunkt dieses Projektes.
Hintergrund ist unter anderem die Aquakultur. In diesem Bereich wird viel Protein für die Lebensmittelindustrie auf tierischer Basis erzeugt. Doch die Versorgung speziell von Fischen mit passendem Futter stellt zunehmend ein Problem dar. Immer noch wird Fisch aus natürlichem Fang zu Fischmehl verarbeitet, das dann in der Aquakultur verfüttert wird. Der Bedarf nach dieser Futterquelle übersteigt zunehmende die Verfügbarkeit von Fischmehl. Der Aspekt der Nachhaltigkeit geht dadurch zu Lasten der natürlichen Fischbestände verloren.
Die Ansprüche verschiedener Zuchtfische und Möglichkeiten der alternativen Eiweißversorgung waren deshalb auch der Inhalt diverser Sessions. Die Themenbreite reichte von der Ernährung der Meeresbrasse bis hin zu Auswirkungen der Fütterung von Lachsen mit alternativen Proteinen – in diesem Fall basierend auf den Grundsäulen von NextGenProteins: Mikroalgen, Hefe und Insekten. Das Ergebnis: Nach 14-wöchiger Fütterungszeit der Test- und Vergleichsgruppe gab es keine signifikanten Unterschiede in den Faktoren Fleischqualität, Wachstumsrate, Futteraufnahme oder der Sterblichkeit der Fische und im Konsumententest wurden die Lachse mit dem Hefeprotein sogar etwas besser bewertet.
Auch der Trend zu Fertiggerichten und Snacks hat die Wissenschaftler im NextGenProteins-Projekt beschäftigt. Wie schafft man es, einzelliges Protein in Burger und Fleisch auf Pflanzenbasis einzuarbeiten? Und welche alternativen Proteine lassen sich besser und optisch ansprechender in Snacks auf Getreidebasis einbringen? Diesen Punkt beleuchtete Laura Pirkola von der schwedischen Fazer Group. „Bereits der Zusatz von einem Prozent Spirulina-Algen oder Grillenmehl beeinflusste die Verarbeitung von beispielsweise Brotchips negativ, aber nicht die Textur“, so die Forscherin in ihrem Vortrag. „Eine knusprige Textur wurde selbst bis fünf Prozent Zugabe erreicht.“ Gleichzeitig wirke sich Spirulina erheblich auf den Geruch, den Geschmack und das Aussehen des Produktes aus. Bei der Verwendung von Grillenmehl sei das kaum der Fall.
Koordiniert hat das Projekt NextGenProteins das staatliche isländische Institut Matís. Das Technologie-Transfer-Zentrum (ttz) Bremerhaven war einer der Projektpartner. Matís beschäftigt sich mit der Entwicklung neuer Lebensmittel, der Analyse vorhandener Strukturen wie der Fischerei oder auch Lebensmittelsicherheit. Projektleiter Birgir Smárason: „Das Marktpotenzial alternativer Proteine wird sich ändern, wenn die nachhaltige Produktion oder die Nahrungsmittelknappheit zu den wichtigsten Faktoren bei der Regulierung von Lebens- und Futtermitteln wird. Das wird früher oder später der Fall sein, aber der Übergang wird wahrscheinlich langsam vonstatten gehen. Eine interessante Frage lautet daher: Können es sich die Hersteller alternativer Proteine leisten zu warten, bis die Märkte für ihre Produkte bereit sind?“
Die Entwicklung von leistungsfähiger Technik und verlässlicher Verfahren für die großflächige Produktion alternativer Proteine war deshalb ebenfalls auf der Agenda der NextGenProteins-Konferenz. Von der Fermentation über den Einsatz von Hochdruck-Geräten für die Proteinisolation bis zur Herstellung von pflanzenbasierten Proteinen mit Fleischstruktur – in den Sessions und Einzelvorträgen bekamen die Konferenzteilnehmer exklusive und detaillierte Informationen.
Alles entscheidend stand aber über den Forschungsergebnissen eine Frage: Wie ist die Akzeptanz der Verbraucher von Produkten mit oder aus alternativen Proteinen? Im Rahmen von NextGenProteins wurden umfangreiche Studien durchgeführt und die Resultate auf der Konferenz in Bremerhaven vorgestellt. „Wir haben insgesamt 6640 Menschen in sieben Ländern befragt – unter anderem in Großbritannien, Italien, Deutschland und Polen“, schildert Jaakko Paasi vom staatlichen finnischen Forschungsinstitut VTT. Basis der Befragung waren auch hier die im Projekt vorgegebenen Eiweiße aus Spirulina-Algen, essbaren Insekten wie beispielsweise Heuschrecken und Torula-Hefe. „Mehr als die Hälfte der Befragten hatte eine positive Einstellung zu Spirulina und zumindest noch 40 Prozent zur Hefe. Auf das geringste Interesse stießen die Heuschrecken. Hier waren nur rund 20 Prozent positiv eingestellt“, fasste Jaakko Paasi zusammen.
Die größte Offenheit gegenüber alternativen Proteinen in Lebensmitteln ist laut der Studie von einer Bevölkerungsschicht zu erwarten, die weiblich ist, jüngeren Alters, nicht auf Fleischkonsum fixiert, offen gegenüber neuartigen Lebensmitteln und die Vertrauen in die Akteure der Lebensmittelwirtschaft hat. Jaako Paasi: „Die Einstellung der Verbraucher in Europa gegenüber alternativen Proteinen wird messbar positiver. Das schlägt sich allerdings noch nicht in den Kaufentscheidungen bei den Produkten nieder. Es ist deshalb wichtig, diese Kluft zwischen Einstellung und Verhalten mit Maßnahmen zu überbrücken.“
Aktiv dazu beigetragen hat auf der NextGenProteins-Konferenz das Angebot der bereits produzierenden Firmen. An verschiedenen Ständen konnten sich die Teilnehmer nicht nur über Produktionsverfahren, Materialien und Produkte informieren, sondern auch gleich probieren: Von der Bratwurst und den Hamburger auf Eiweißbasis über den Thunfisch-Ersatz aus alternativen Proteinen bis hin zur Heuschrecke in Schokolade – wahlweise Vollmilch oder Zartbitter, je nach Geschmack.
„Diese Abschlusskonferenz hat gezeigt, wie die Zusammenarbeit hochengagierter Partner die weltweit vorhandene Expertise bündeln und zum Vorteil aller Menschen einsetzen kann“, sagte Prof. Dr. Gerhard Schorries, Leiter des ttz. „Die Herstellung alternativer Proteine ist eine Schlüsseltechnologie auf dem Weg zur nachhaltigen Ernährung und Bremerhaven hat dabei eine zentrale Rolle.“ Bis zum Jahr 2050 wird das Wachstum der Weltbevölkerung auf rund 9,7 Milliarden Menschen geschätzt. Aktuell gibt es rund 8,1 Milliarden Menschen auf der Erde.
Die aktuelle Produktion von Protein zur Ernährung reicht nicht aus. Prognosen zufolge müsste sie im Vergleich zu heute um 70 Prozent steigen. Wird weiterhin auch auf tierische Eiweißproduktion wie Massentierhaltung gesetzt, hat das auch negative Auswirkungen auf das Klima. Wesentliche Teile der Treibhausgase Methan und Kohlendioxid stammen aus diesem Wirtschaftsbereich. Weltweit werden aktuell etwa 65 Milliarden Tiere industriell großgezogen.
Dass die Ergebnisse von NextGenProteins als großangelegtes Projekt zur Lösung der Ernährungs- und Klimaproblematik beitragen können – davon ist Projektleiter Birgir Smárason überzeugt:
„Diese Konferenz war ein großer Erfolg. Dass so viele Menschen aus so vielen verschiedenen Ländern und Organisationen gekommen sind, ist wirklich ein Beweis für das Interesse an diesem Thema und dem Projekt. Ich habe viel von den augenöffnenden Vorträgen und den verschiedenen Präsentationen gelernt – nicht nur von den Projektpartnern, sondern auch von den Teilnehmern, die ihre Forschungen und Innovationen vorgestellt haben – alle mit dem gleichen Ziel: unsere Lebensmittelsysteme zu verbessern und zu mehr Nachhaltigkeit zu gelangen.“
Um Bremerhaven als einen der größten Standorte der Fisch- und Lebensmittelindustrie kennenzulernen, nutzte Ministerin Svandís Svavarsdóttir die Gelegenheit zu einer ausgiebigen Tour durch den Fischereihafen. Auf Einladung der Fischereihafen-Betriebsgesellschaft (FBG) Bremerhaven wurden verschiedene Betriebe besucht, Produktionsstrukturen erklärt und innovative Produkte vorgestellt. Am Auftaktabend der NextGenProteins-Konferenz stand für alle Teilnehmer ein Besuch des Klimahauses auf dem Programm.
Text und Foto: Helmut Stapel
NEXTGENPROTEINS
This project has received funding from the European Union’s Horizon 2020 research and innovation programme under grant agreement no. 862704.
Das ttz Bremerhaven versteht sich als innovativer Forschungsdienstleister und betreibt anwendungsbezogene Forschung und Entwicklung. Unter dem Dach des ttz Bremerhaven arbeitet ein internationales Experten-Team in den Bereichen Lebensmittel und Ressourceneffizienz.